Dieses Jahr trafen sich zum vierzigsten Mal die verrücktesten Ausdauersportler/-innen der Welt im Mekka des Triathlons, um sich der Herausforderung Swim – Bike – Run auf der Langdistanz zu stellen. Dabei zu sein ist für jeden Athleten etwas Besonderes. Etwa die besten acht Prozent der Teilnehmer/-innen aus den Qualifikationsrennen der weltweiten Ironmanserie im selben Jahr erkämpfen die Startberechtigung auf Hawaii für sich.
Dass man eine hervorragende sportliche Leistung erbracht, jede Menge Trainingszeit und Geld investiert und eine Reise um die halbe Welt unternommen hat, um am Renntag in Bestform am Start dieses epischen Rennens zu stehen, bedeutet aber kein Freiticket fürs Ankommen im Ziel. Die wunderschöne tropische Big Island mitten im Pazifik hat zwar schon einige Athleten ruhmreiche Siege feiern und dadurch Triathlongeschichte schreiben lassen. Unvergleichbar mehr Helden hat sie aber auch ihre grausame Kehrseite gezeigt. Wellengang, Gegenwind, Hitze und neunzig Prozent Luftfeuchtigkeit können die sportliche Herausforderung allzu leicht in eine stundenlange Qual auf dem hügeligen Kurs verwandeln. Einen hohen Leistungsanspruch haben dort alle und großen Respekt vor dem Wettkampf selbst auch. Die Ziellinie als „daylight finisher“, d.h. in weniger als ca. elfeinhalb Stunden zu überqueren, ist für die meisten „rookies“ (Erstteilnehmer) so wie für mich ein anspruchsvoller aber durchaus realistischer Wunsch.
Die Anreise eine Woche vor dem Rennen erwies sich als ausreichend fürs Kennenlernen der Rennstrecken, der prachtvollen Insel und für die Gewöhnung an die tropischen Bedingungen. Je näher der Renntag rückte, umso mehr häuften sich aber auch Probleme mit meiner technischen Ausstattung: der Gangschaltung meines Zeitfahrrads, einem Platten, dem schürfenden „swimmsuit“ und meinem angerissenen Renntrikot. Ein paar angespannte und hektische Tage später war aber alles wieder im Lot. Als am Wettkampfmorgen nach dem Ritual des „Startnummer-markings“ ein Hawaiianer kräftig in eine Muschel blies, um die Athleten zum längsten und anstrengendsten Tag des Jahres zusammen zu rufen, waren Körper und Kopf voll und ganz auf die bevorstehende Herausforderung konzentriert.
Swim. Es ist soweit. Einstieg ins Wasser, kurzes Abklatschen und Alles-Gute-Wünschen für das Rennen unter den Startern, warten auf den Kanonenschuss und endlich ist er da, der Moment, auf den ich monate- beziehungsweise jahrelang trainiert habe. Über zweitausend Starter/-innen, zunächst die Profis und im Anschluss die „Agegrouper“ machen sich nach einem Massenstart auf die Schwimmstrecke. Alle im Startfeld sind gute Schwimmer. Alle versuchen möglichst schnell den idealen Weg entlang der Bojen abzuschwimmen. Zu wenig Platz für alle. Über die Prügeleien auf den ersten paar hundert Metern wurde in allen Rennberichten der Welt schon genug geschrieben. Ja, es ist beeindruckend, was da abgeht. Gegenseitiges Austeilen und Kassieren, mehr oder weniger unbeabsichtigt natürlich. Solange man gelegentlich Luft kriegt, das Frühstück im Magen behält und seine Schwimmbrille nicht verliert, ist alles gut. „Pardon“ oder „Entschuldigung“ sagt dir hier keiner, wie denn auch? Aus diesem Riesenwirbel bestehend aus kraulenden Körpern und schlagenden Beinen gibt es ungefähr zwei Auswege, der nach vorne und der nach hinten. Hat man also wirklich eine Wahl?
In einer Langdistanz entscheidet sich dass Rennen nicht während des Schwimmens. Locker zu bleiben, mein Tempo so bald wie möglich zu finden und gut zu orientieren sind meine wichtigsten Aufgaben für die erste Disziplin. Am Wendepunkt kurz vor dem zweiten Kilometer sortiert sich das Schwimmerfeld einigermaßen. Die ganz schnellen Schwimmer sind vorne weg, die langsameren sind nicht mehr da und die meisten bekommen langsam das Gespür dafür, dass noch ein langer Tag bevorsteht. Ein paar Delfine schwimmen bei uns mit, wie man auf dem Foto sieht. Amüsiert über die bemühten Athleten springen sie aus dem Wasser um zu zeigen, wie schwimmen eigentlich geht.
Die erste Disziplin geht in meiner Wahrnehmung sehr schnell vorbei. Als ich nach zweitausend Armzügen auf knapp vier Kilometern aus dem Ozean steige, fühle ich mich noch ganz frisch und bin schon längst auf den Wechsel zum Radfahren konzentriert. Eine passable Schwimmzeit von einer Stunde und sieben Minuten, mit einer Frequenz unter hundertsechzig Herzschlägen pro Minute und weniger als Tausend verbrannten Kalorien hat mein Rennen nahezu perfekt anfangen lassen.
Bike. Nach dem Wechsel aufs Rad fahre ich relativ locker los, um meinen Puls deutlich runterzudrücken. Auf den ersten Kilometern, die durch die Ortschaft Kailua-Kona führen, melden sich aber Muskelkrämpfe. Diese meine treuen Begleiter durch das Trainingsjahr schießen mir aus dem Rücken in die linke Hinterseite eines Oberschenkels. Es muss ein skurriles Bild sein, einen Starter zu sehen, der angefeuert durch Tausende Zuschauer kaum tritt, durch eine Viererreihe von Athleten überholt wird und dabei versucht, seinen Arsch zu massieren. Die ersten zehn Kilometer auf dem Rad sind dadurch der kritischste Abschnitt im ganzen Rennen für mich. Es dauert gefühlt ewig, bis ich mich aus der schmerzhaften Bummelfahrt rausdehnen kann. Sobald mir eine halbe Stunde später auf der Queen-Ka’ahmanu Highway meine Raduhr zum ersten mal eine Leistung von zweihundert Watt und einer Geschwindigkeit von über dreißig Km/h zeigt, weiß ich, dass ich zurück im Rennen bin. Hundertsiebzig Kilometer mit Gegenwind auf einem hügeligen Kurs durch die Lavafelder, auf denen noch einiges passieren kann, stehen bevor. Von ziemlich weit hinten fange ich an, meine Kontrahenten zunächst aus höheren Altersklassen zu überholen. Obwohl „drafting“ im Ironman verboten ist und mit „time penalty“ bestraft wird, ziehen ein paar Grüppchen mit Windschattenfahrern an mir vorbei. So was nur ohne mich, denke ich mir und lasse mich jedes Mal zurückfallen.
Die kräfteraubende Hitze macht sich schon am frühen Vormittag bemerkbar und die trockenen Salzflecken auf meinem Renntrikot erinnern mich an die Wichtigkeit der sorgfältigen Verpflegung und Kühlung. Hauptsache keinen Platten kriegen und nicht überzocken, schön gleichmäßig fahren und geduldig sein geht mir wie ein Mantra durch den Kopf. Auf dem Rückweg vom Wendepunkt in Hawi gibt es zum Glück relativ wenig von dem erwarteten Seitenwind und ein paar Wolken gönnen uns sogar einen kurzen Regenschauer, der sich zu dieser Jahreszeit in Kona wie eine warme Dusche anfühlt. Das Regenwasser fällt auf die heißen schwarzen Lavafelder und verdampft sofort wieder, sodass von einer kühlenden Erfrischung nicht die Rede sein kann. Immerhin kann ich ein stabiles Tempo bei mäßigem Puls fahren und bin weiter auf der Überholspur.
Über viertausend flüssige Kalorien in Gels und Iso treiben mich in fünf Stunden und vierzehn Minuten über die hundertachtzig Kilometer lange Radstrecke mit achtzehnhundert zu bewältigenden Höhenmetern an. Den anfänglichen Krämpfen verschuldet bleiben die Durchschnittswerte über den Radkurs von hundertvierundachtzig Watt, der Trittfrequenz von zweiundachtzig Pedalumdrehungen pro Minute und etwas über vierunddreißig Km/h deutlich unter meinen Erwartungen. Nichts für ungut. Es tröstet mich das Gefühl, mich auf dem Rad nicht all zu viel verausgabt zu haben, was sich in Zahlen als eine durchschnittliche Herzfrequenz von hundertsechsundvierzig und viereinhalbtausend verbrannten Kalorien ausdrücken lässt. Zum Glück hat man während des Rennens keine Zeit melancholisch zu werden, weil das Radfahren auf Hawaii nun schon Geschichte ist. Meine Lust auf mehr hält mich vor dem Wechsel zum Lauf bei Laune und lässt mich auf eine gute Marathonzeit hoffen.
Run. Die ersten Kilometer auf der Laufstrecke führen durch eine Schleife in Kailua-Kona und sind ziemlich hügelig, sodass ein konstantes Tempo zu finden nahezu unmöglich ist. Der Laufstil nach fünf Stunden auf dem Rad ähnelt erstmals einem Eiertanz. Man kann nur hoffen, sich später noch irgendwie fangen zu können. Viele jubelnde Zuschauer jagen die Läufer nach vorn. Auf dem hügeligen Ali’i Drive, der sich entlang der wunderschönen Pazifikküste bis zum Schildkrötenstrand zieht, gibt es einige wenige schattenwerfende Bäume, kühlende Wasserschläuche und Verpflegungsstationen mit kalten Getränken und Eiswürfeln. Nach ungefähr zwölf Kilometern erreiche ich den befürchteten Anstieg auf der Palani Road, der sich etwa dreihundert Meter zieht. Die meisten um mich herum gehen, sodass ich wieder ein paar Plätze gut machen kann. Hier begegne ich Patrick Lange, der mir auf seinem letzten Rennkilometer entgegen kommt und gleich in einer Weltrekordzeit ins Ziel rasen wird. Ein paar Minuten später bin ich schon wieder auf dem glühenden vierspurigen Queen Ka` Highway in den Lavafeldern Richtung Wendepunkt am „Energy Lab“, wo mein Rennen erst wirklich anfängt. Die Aufholjagt beginnt. Von einer Verpflegungsstation zur anderen kämpfte ich mich durch und hoffe, das eingeschlagene Tempo noch lange stabil halten zu können. Auf Kilometer siebzehn meldet sich aber eine erste Krise, die zum Ironman genauso gehört wie das berauschende Gefühl, wenn es grad eine Weile gut läuft. Mein Körper will eigentlich gar keinen Sport mehr machen und drückt das klar aus. Jeder Meter, den ich gut mache und jeder Athlet, den ich überhole lassen die sportliche Qual ein Stück ertragbarer werden. Im Kopf bin ich noch einigermaßen bei der Sache, sodass ich auf der zweiten Hälfte des Marathons meinem Schweinehund und den immer häufiger zurückkehrenden Krisen Stirn zeigen kann. Nach der Wende am Kilometer achtundzwanzig versuchte ich – wie fast alle um mich herum – nur noch einen energetischen Niedergang zu vermeiden bzw. zu verlangsamen. Kühlen, trinken, kühlen. Ab Kilometer dreißig bin ich schon auf dem Rückweg nach Kailua-Kona und baue mich langsam daran auf, dass es ins Ziel nicht mehr so weit ist. Viele werden langsamer, etliche gehen, ein paar haben mit Krämpfen oder Magenproblemen zu tun und zollen Tribut für ein zu schnelles Radtempo, mangelhafte Energiezufuhr, zu wenig Kühlung, oder eine andere der unzähligen Sachen, auf die es beim Ironman auf Hawaii besonders ankommt. Aufnehmen kann ich längst nur noch Cola. In einem helleren Moment nach Kilometer fünfunddreißig versuche ich ein wenig zu beschleunigen. Bald merke ich aber, dass eine Leistungssteigerung nicht mehr möglich ist. Die letzten Kilometer werden wirklich richtig hart für mich. An einer Verpflegungsstelle vier Kilometer vor dem Ziel halte ich ziemlich erschöpft kurz an und will ein paar Schritte einfach gehen. Keine gute Idee. Ich stehe während die ganze Insel nun anfängt in meiner Wahrnehmung zu schwenken und zu hüpfen, als ob sie selbst jetzt weiter laufen würde. Es wird mir schnell klar, worauf es hinaus laufen würde, wenn ich jetzt gehen oder gar stehen bleiben würde. Die einzige Option für mich bleibt, die letzten Kräfte zu mobilisieren und über meinen Schatten zu „springen“. Auf der Uhr sehe ich, dass eine Zielzeit unter zehn Stunden realistisch ist, wenn ich mein Tempo unter fünf Minuten pro Kilometer halten kann. Auf geht’s, raff dich auf und lass das Kopfkino spielen, wie es sich anfühlen wird, wenn du die Qual in zwanzig Minuten überwunden hast und den sagenhaften Spruch Y-A-A-I nach einem erfolgreichen „day light finish“ zugerufen bekommst.
Wie ich die letzten Kilometer bewältigt habe, weiß ich nicht so genau. Existenzielle Selbsterfahrung pur. Vor allem die der eigenen Grenzen. Ich gegen mich. Tunnelblick. Zeit egal. Was zum Geier mich antrieb weiterzumachen, kann ich irgendwie benennen, gefühlt habe ich es aber nur dort. Die Belohnung kam. Auf dem letzten Kilometer durch Kailua-Kona war ich schon mit Glückshormonen überschüttet und genoss den Zieleinlauf des großen Rennens zusammen mit den unzähligen Zuschauern. Geschafft! Vierzigtausend Schritte auf zweiundvierzig Kilometern und zweihundertsechzig Höhenmetern in knapp dreieinhalb Stunden. Keine schlechte Leistung für mich. I am an Ironman! Und ob ich die magischen zehn Stunden bei meiner WM Premiere in Kona unterbieten konnte? … kannst du in meinem Blog aus Hawaii unter www.myrheo.com lesen. Aloha 🙂